Sozialhilfe & Unterhalt – warum Hilfe oft an der Klage scheitert

23. Juni 2025

Wenn Hilfe zur Zumutung wird

Sozialhilfe soll Menschen in existenziellen Notlagen unterstützen. Doch in der Praxis erleben viele – besonders alleinerziehende Frauen –, dass Hilfe nicht einfach gewährt wird. Stattdessen gilt oft: Erst klagen – dann unterstützen.

Das bedeutet:
Bevor Sozialhilfe ausbezahlt wird, muss nachgewiesen werden, dass sämtliche zumutbaren Schritte zur Sicherung des Lebensunterhalts unternommen wurden – darunter fällt auch die Einbringung einer Unterhaltsklage gegen den anderen Elternteil.

Diese Vorgabe steht in den Sozialhilfe-Ausführungsgesetzen der Länder, etwa:
„Anspruch auf Leistungen besteht nur, wenn bestehende Unterhaltsansprüche gegenüber Dritten geltend gemacht wurden oder deren Geltendmachung unzumutbar ist.“
(z. B. § 7 Oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetz www.ris.bka.gv.at)

Was das in der Realität bedeutet

Für viele Betroffene bedeutet diese Regelung nicht nur ein zusätzlicher bürokratischer Aufwand – sondern eine emotionale und teils gefährliche Belastung:

  • Bei konfliktreichen Trennungen oder Fällen von häuslicher Gewalt kann die Klage eine Re-Traumatisierung auslösen.
  • Die juristische Auseinandersetzung dauert oft lange – in dieser Zeit bleibt die Existenzsicherung unsicher.
  • Viele wissen nicht, dass sie ohne Klage abgelehnt werden – oder geben den Antrag gleich auf.
  • Das Risiko trägt die beantragende Person allein – meist die Mutter.

Fazit: Was als Schutz des Systems gedacht ist, trifft besonders hart jene, die ohnehin schon belastet sind.

Was gilt als „unzumutbar“?

In Einzelfällen kann die Pflicht zur Klage entfallen, etwa wenn:

  • eine Gefährdung durch den anderen Elternteil vorliegt (z. B. Gewalt, Drohungen),
  • der psychische Zustand der antragstellenden Person eine Klage nicht zulässt,
  • bereits rechtliche Schritte laufen oder das Einfordern aussichtslos ist.

Doch: Diese Ausnahmen müssen nachgewiesen werden – was erneut an Voraussetzungen und Gutachten gekoppelt ist.

Die rechtliche Grundlage

Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) wurde 2019 durch die Sozialhilfe Neu ersetzt. Dabei wurde der Fokus noch stärker auf Eigenverantwortung und Selbsthilfe gelegt – was in der Praxis bedeutet: Wer Unterstützung will, muss zuerst alles andere ausgeschöpft haben.  https://www.volkshilfe.at/wp-content/uploads/2024/09/MINDESTSICHERUNG_2024.pdf

In § 6 Oö. SOHAG ist klar geregelt:

  • Erst wenn Einkommen, Vermögen und alle Rechtsansprüche gegen Dritteausgeschöpft sind, wird Sozialhilfe gewährt.
  • Nur in akuten Notlagen ist laut § 25 Abs 4 eine Soforthilfemöglich – doch auch hier braucht es Begründung.

Wie gravierend die bestehenden Regelungen sein können, zeigen konkrete Fälle aus Ober- und Niederösterreich:

In einem Bericht von Amnesty International Österreich (2024) schildert eine alleinerziehende Mutter aus Oberösterreich ihre Erfahrung mit der Sozialhilfe: Der Antrag sei mit massiven bürokratischen Hürden verbunden gewesen, darunter die Verpflichtung zur Unterhaltsklage. Der Kontakt zu den Behörden sei kaum möglich gewesen – und die psychische Belastung so hoch, dass sie den Antrag schließlich aufgab. Besonders erschütternd: „Wenn du zwei Kinder hast und dann kein Geld hast … das ist ein riesiger Stress.“ (Amnesty-Report 2024, Kapitel 4: Soziale Rechte, S. 42  https://www.amnesty.at/media/10084/ai_report_soziale-rechte_oesterreich_2024.pdf

Auch in Niederösterreich dokumentierte das SozialrechtsNetz (2023) den Fall einer alleinerziehenden Mutter von drei Kindern, der nach dem 18. Geburtstag ihres ältesten Sohnes plötzlich der Zuschlag für Alleinerziehende gestrichen wurde – obwohl sie weiterhin allein für die jüngeren Kinder sorgte. Gleichzeitig wurde sie dazu aufgefordert, den volljährigen Sohn auf Unterhalt zu verklagen. (SozialrechtsNetz NÖ – Stellungnahme zum Sozialhilfevollzug 2023  https://www.sozialrechtsnetz.at/wp-content/uploads/2023/10/Sozialhilfe-NOE-Praxiserfahrungen-SozialrechtsNetz.pdf

Diese Fälle verdeutlichen: Die bestehende Regelung benachteiligt systematisch jene, die ohnehin in einer prekären Lage sind – insbesondere alleinerziehende Frauen. Sie tragen nicht nur die finanzielle Verantwortung, sondern sollen zusätzlich gerichtliche Schritte gegen Angehörige setzen, mit denen sie oftmals noch in einem sensiblen oder konflikthaften Verhältnis stehen.

Was es stattdessen bräuchte

Ein gerechtes System müsste zuerst auffangen – und dann prüfen. Das würde bedeuten:

  • Soforthilfe ohne vorab eingebrachte Klagen,
  • Beratungsangebote zur freiwilligen Einigung vor juristischen Schritten,
  • keine Sanktionen, wenn die Durchsetzung von Unterhalt unzumutbar ist.

Armut zu verhindern darf nicht davon abhängen, ob jemand bereit oder in der Lage ist, einen belastenden Rechtsweg zu gehen.

Begleitung bei B7: Sozialhilfe, Unterhalt, Existenzsicherung

In unserem Case Management Sozialhilfe unterstützen wir Menschen – nach Zuweisung von den Behörden (BH, Magistrat) – in komplexen Lebenslagen – gerade dort, wo rechtliche, finanzielle und soziale Unsicherheiten zusammentreffen.

Wir klären:

  • Welche Möglichkeiten es ohne Klage gibt,
  • wie man unzumutbare Situationen nachweisen kann,
  • und begleiten, wenn doch rechtliche Schritte nötig sind.

Kontakt & Info:
B7 Case Management Sozialhilfe (Linz)
Peter-Behrens-Platz 7, 4020 Linz
📞 0732 600230
📧 office@arbeit-b7.at
→ arbeit-b7.at/cms-sozialhilfe



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